Die Fachbücher der Rose Müller-Windorf umfassen ein breites Wissensspektum des Hutmacherhandwerks und sind im deutschsprachigen Raum sehr bekannt. Auch wenn jeder Auszubildende von den Büchern gehört hat, im Original gesehen haben sie die wenigsten. Schuld daran ist vielleicht das minderwertige Papier, auf dem die Bücher nach dem 2. Weltkrieg gedruckt wurden. Ein Blick zurück bis zu den Anfängen der Hutgeschichte ist nötig, um zu erklären, warum die Fachbücher überhaupt geschrieben werden mussten.

Mit der Heirat endet automatisch ihre Konzession
Der Beruf der Putzmacher oder Modisten war immer weiblich und wird seit dem 18. Jahrhundert zur wirtschaftlichen Nische für Frauen.
Eine zeitlich begrenzte Konzession wird an die unverheiratete Putzmacherin vergeben. Andere Nähtätigkeiten sind untersagt, auch wenn in ländlichen Regionen die Berufe der Näherin und Putzmacherin eng verwandt sind. In den Metropolen wird streng kontrolliert durch die (männlichen) Handwerksbünde. In der damaligen Zeit war die Putzmacherin selbstverständlich nicht zunftfähig. Bei Männern ist ihr Spezialwissen und das Modebewußtsein verpönnt, sie steht damit außerhalb der Gesellschaft.

Die Putzsucht
Um 1700 und in der ersten Phase des 18. Jahrhunderts war der Hut den Männern vorbehalten. Für die Frau war es zwar verpflichtend ihre Haare zu bedecken, aber üblicherweise mit Perücke, (Flügel-)Haube oder Turban, ebenso Kapuze und Schleier.
1770 wird die Putzmacherin erstmals erwähnt als „Anziehende und Anzierende“ der Kindsmutter oder der Braut. Sie übernimmt die Hutgestaltung für höfische und bürgerliche Standespräsentierende, später auch die Hutumgestaltung. Die Neugestaltung eines Hutes wird erst viel später möglich sein.
Nach 1800 entwickelt sich der Hut für die Frau, überwiegend aus Stoff und Stroh, aber noch nicht aus Filz.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird Paris das Zentrum der modeinteressierten Welt. In der brodelnden politischen Gesamtsituation vor der französischen Revolution entwickelt sich eine Art Endzeitstimmung. Die Kleidermode wechselt rasch, fast überstürzt. Die Hutmode geht dem teilweise voraus. Der Hut als Sozialstatus, ganz nach dem Motto: “ Ein Hut ist eine Botschaft“, wird zum Pendant des „Gut-Behütet-Seins“. Von vielen wird die Putzsucht beklagt und für die unteren Schichten bedeutet sie den finanziellen Ruin.

Die erste Blütezeit in der Hutgeschichte
Putzmacherinnen statten die feudale Herrschaft aus und werden nicht selten über diesen Umweg zur Mätresse, wie beispielsweise Madame du Barry zur „Gräfin Dubarry“, der Geliebten Ludwigs XV.
Auch wenn die Profession der Blumenarbeiterinnen und die der Putzmacherinnen eng verbunden ist, sind Erstgenannte in Fabriken tätig und nicht so hoch qualifiziert.
In Weimar arbeitet Christine Vulpius als Lohnarbeiterin in einer Blumenfabrik, bevor sie Johann von Goethe trifft. Laut Geschichtsschreibung als Putzmacherin beschrieben, wurde sie in der Weimarer Gesellschaft als Blumenmädchen verspottet.

Putzmacherin und Modistin als synonyme Berufsbezeichnung mit Bedeutungsnuancen
Das ist auch die Zeit der ersten namentlich bekannten Putzmacherin: Rose Bertin, in Frankreich 1747 geboren, als Marie-Jeanne.
Ihre Kunst übt sie als Hoflieferantin von Marie Antoinette aus und beginnt damit 1772, zwei Jahre vor deren Krönung. Sie ist finanziell sehr erfolgreich und am ehesten als Modeschöpferin im Sinne der Haute Couture zu bezeichnen. In ihrem Geschäft beschäftigt sie 30 Arbeiterinnen. Ihr Selbstverständnis, dass auf deutlich höherem kunsthandwerklichen und künstlerischem Niveau beruht, muss dem einer Modisten entsprechen. In einem Frauennetzwerk aktiv, hat sie als ministre de la mode großen Einfluss. Ihre Kreationen verbreiten sich in der gesamten Welt durch Nachahmung.
Während der französischen Revolution gefährlich eng verbunden mit dem nun verhassten Thron, emigriert sie nach England und arbeitet in London. Ihre Karriere hat jedoch den Höhepunkt überschritten. Immer noch gut situiert, kehrt sie zurück nach Frankreich, arbeitet als marchande de mode (Modehändlerin) und stirbt im Jahr 1813.
In der Zeit nach der Revolution dominieren Kurzhaarschnitte, mit schlichten Hüten und einem bewußt zurück genommenen Kleidungsstil.

Die Industriealisierung beginnt langsam
Im 19.Jahrhundert übernehmen männliche Textilunternehmer die Branche, Männerhüte werden mechanisiert. Der Hutmacher gestaltet den Hutkorpus, vom Hutstaffierer, der aus der Branche der Krämer stammt, wird er ausgeschmückt. Putzmacherinnen bleiben eine Randerscheinung.
Ab 1860 werden in Gewerbe- und Handelsschulen Töchter aus höheren Bürgerschichten in textilem Arbeiten unterrichtet. Und hier trennen sich die, die sich die Schulgebühren leisten können von denen aus unteren und mittleren Schicht, die ungebildet bleiben und es mit viel Geschick bestenfalls zur Vorarbeiterin schaffen können.

Die zweite Blütezeit in der Hutmode
Um 1900 gibt es im öffentlichen Raum eine Hutpflicht.
Wenn es im 18. Jahrhundert vereinzelt Fachliteratur für das Huthandwerk gab, so wurde es vor dem 1. Weltkrieg schlagartig mehr. Eine regelrechte Flut von Zeitschriften, Nachschlagekompendien, ausbildungsbegleitender oder einführender Literatur, zusammen mit Lehrbüchern für die Prüfungsvorbereitung als Putzmacherin werden veröffentlicht. Es ist als Zeichen für die Unklarheit in dem Beruf zu werten. Zu dieser Zeit gibt es großen Diskussionsbedarf.
Die Zwangsinnung wird zum Ende des 19. Jahrhunderts zwar gegründet, setzt sich in den 1920er Jahren schließlich gegen die bestehenden Zünfte in der Textilverarbeitung durch. Das ermöglicht Frauen erstmals sich zu organisiren. Eine dreijährige Lehrzeit und die Meisterprüfung sind von nun an Voraussetzung für die eigene Selbstständigkeit.
Veränderte Rollenbilder führen zur Erwerbsarbeit im öffentlichen Raum. Ein großer Fortschritt: Seit dem 17. Jahrhundert hatten Frauen keinen Zutritt zu den Zünften. Die Berufe des Hutmachers und Schneiders waren männlich, bei den Hutmachern übrigens bis 1970. Frauen waren allenfalls Gehilfinnen, beschäftigt als Näherin oder im Verkauf.

Seriös und eigenständig

Anfänglich wird die Hutanfertigung in Handarbeitsbüchern kurz in einer Rubrik abgehandelt. 1903, mit dem Handbuch zur Putzmacherei von Pauline Zell-Thom, trennt sich nun deutlich die häusliche, für den Eigengebrauch bestimmte, von der ökonomisch ausgerichteten Putzmacherei. 1912 ist die Meisterverordnung in Berlin die früheste ihrer Art. Das Moderne Putzfach von Anna Pabst von 1917 ist ein umfassendendes Werk, in dem erstmals Rechte und Pflichten, neben Buchführung und Fachwissen weitergegeben werden. Eine europaweite Studie zur Institutionalisierung gibt es nicht, aber Madame Eva Ritcher ist mit The ABC of Millinery unbedingt zu erwähnen. Die Sparte wird seriöser und eigenständiger.
Das ist ganz im Sinne von Rose Müller-Windorf, geb.1887 in Berlin. Neben ihrem gutgehenden Hutsalon mit 6 bis 12 Mitarbeiterinnen, macht sie die Weitergabe des professionalisierten Handwerks zu ihrer Aufgabe. Ihr erstes Buch veröffentlicht sie zusammen mit Ella Riemer-Basté 1930: Lehrbuch der Putzfachkunde, noch als Rose Windorf. Zu dem Zeitpunkt übt sie schon ihre Lehrtätigkeit aus. Ab 1939 konzentriert sie sich ganz darauf und weitere Bücher folgen bis 1966. Sie ist maßgeblich daran beteiligt, dass der Beruf, als Handwerkskunst von höchster Qualität, anerkannt wird. Als Fachlehrerin und Meisterin leitet sie ein Internat, die erste „Fachliche Bildungsanstalt des Putzmacherhandwerks“ in Tübingen, und später die Innung.
Der Wortlaut ihrer Bücher entspricht nicht mehr dem heutigen Zeitgeist, aber als Standardwerk sind sie immer noch wichtig und bleiben auch jetzt sehr informativ.
Es ist auch die Zeit der Adele List, geb.1893 in Österreich. Sie ist jedoch ganz und gar Hutkünstlerin und erlangt, nach Rose Bertin, große Berühmtheit. Paris inspiriert sie nicht. Sie setzt ganz neue Maßstäbe, die noch heute zeitlos sind. Adele List widmet ihr Leben den Hüten und bleibt unverheiratet.
Nach einem erstarrten Rollenbild im Nationalsozialismus erlebt die Hutindustrie eine weitere Hochzeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts, bis sie in den 1970er Jahren fast zum Erliegen kommt.

Übrigens
In den 1980er Jahren werden die Herrenhüte auch von Modistinnen gefertigt und retten damit vielen das Überleben in der Branche.
Und jetzt sind wir mittendrin in dem, vom Aussterben bedrohten Handwerk, das so recht nicht sterben will. Ein Glück!

Quellen: Kurt Dröge Die Putzmacherin und die abgebildeten Fachbücher im Original.

Den Artikel habe ich für HATLINES MAGAZINE #71 geschrieben und erscheint im Herbst 2020